Im Westen Nichts Neues by Erich Maria Remarque
Autor:Erich Maria Remarque [Remarque, Erich Maria]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: World War; 1914-1918
ISBN: 9783462006377
Herausgeber: Routledge
veröffentlicht: 1923-01-01T23:00:00+00:00
Auf dem Perron sehe ich mich um; ich kenne niemand von den Leuten, die da hasten. Eine Rote-Kreuz-Schwester bietet mir etwas zu trinken an. Ich wende mich ab, sie lächelt mich zu albern an, so durchdrungen von ihrer Wichtigkeit: Seht nur, ich gebe einem Soldaten Kaffee. – Sie sagt zu mir »Kamerad«, das hat mir gerade gefehlt. Draußen vor dem Bahnhof aber rauscht der Fluß neben der Straße, er zischt weiß aus den Schleusen der Mühlenbrücke hervor. Der viereckige alte Wartturm steht daran, und vor ihm die große bunte Linde, und dahinter der Abend.
Hier haben wir gesessen, oft – wie lange ist das her -; über diese Brücke sind wir gegangen und haben den kühlen, fauligen Geruch des gestauten Wassers eingeatmet; wir haben uns über die ruhige Flut diesseits der Schleuse gebeugt, in der grüne Schlinggewächse und Algen an den Brückenpfeilern hingen; – und wir haben uns jenseits der Schleuse an heißen Tagen über den spritzenden Schaum gefreut und von unseren Lehrern geschwätzt.
Ich gehe über die Brücke, ich schaue rechts und links; das Wasser ist immer noch voll Algen, und es schießt immer noch in hellem Bogen herab; – im Turmgebäude stehen die Plätterinnen wie damals mit bloßen Armen vor der weißen Wäsche, und die Hitze der Bügeleisen strömt aus den offenen Fenstern. Hunde trotten durch die schmale Straße, vor den Haustüren stehen Menschen und sehen mir nach, wie ich schmutzig und bepackt vorübergehe.
In dieser Konditorei haben wir Eis gegessen und uns im Zigarettenrauchen geübt. In dieser Straße, die an mir vorübergleitet, kenne ich jedes Haus, das Kolonialwarengeschäft, die Drogerie, die Bäckerei. Und dann stehe ich vor der braunen Tür mit der abgegriffenen Klinke, und die Hand wird mir schwer.
Ich öffne sie; die Kühle kommt mir wunderlich entgegen, sie macht meine Augen unsicher.
Unter meinen Stiefeln knarrt die Treppe. Oben klappt eine Tür, jemand blickt über das Geländer. Es ist die Küchentür, die geöffnet wurde, sie backen dort gerade Kartoffelpuffer, das Haus riecht danach, heute ist ja auch Sonnabend, und es wird meine Schwester sein, die sich herunterbeugt. Ich schäme mich einen Augenblick und senke den Kopf, dann nehme ich den Helm ab und sehe hinauf. Ja, es ist meine älteste Schwester.
»Paul!« ruft sie. »Paul -!«
Ich nicke, mein Tornister stößt gegen das Geländer, mein Gewehr ist so schwer.
Sie reißt eine Tür auf und ruft: »Mutter, Mutter, Paul ist da.«
Ich kann nicht mehr weitergehen. Mutter, Mutter, Paul ist da.
Ich lehne mich an die Wand und umklammere meinen Helm und mein Gewehr. Ich umklammere sie, so fest es geht, aber ich kann keinen Schritt mehr machen, die Treppe verschwimmt vor meinen Augen, ich stoße mir den Kolben auf die Füße und presse zornig die Zähne zusammen, aber ich kann nicht gegen dieses eine Wort an, das meine Schwester gerufen hat, nichts kann dagegen an, ich quäle mich gewaltsam, zu lachen und zu sprechen, aber ich bringe kein Wort hervor, und so stehe ich auf der Treppe, unglücklich, hilflos, in einem furchtbaren Krampf, und will nicht, und die Tränen laufen mir immer nur so über das Gesicht.
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